Rezension der CD Udite,
erschienen im EGTA Journal Nr. 14 (6/2023)
Rezension der CD Udite,
erschienen im EGTA Journal Nr. 14 (6/2023)
Vom Zuhören nach Aufforderung: Udite von Duo Udite
von Mvon Ya’qub Yonas N. El-Khaled
Musik von Wagner, Mahler oder Richard Strauss auf der Gitarre? Für viele dürfte diese Frage wohl keine Frage sein, besonders dann, wenn man vorrangig an Orchesterwerke oder Musikdramen denkt. Und doch findet man Werke der genannten Komponisten – und weiterer – auf dem neuen Album Udite vom gleichnamigen Duo Udite. Das Duo setzt sich aus Mezzosopranistin Bettina Bruns und Gitarrist Daniel Göritz zusammen, die mit ihrem neuen Album einen Querschnitt durch ihr Repertoire vorlegen. In munterer Folge geben sich Barbara Strozzi, Henry Purcell, Franz Schubert, Robert Schumann, Johannes Brahms und eben Wagner, Mahler und Strauss die Klinke in die Hand und treten mit ein bis zwei Liedern in Erscheinung (allein Schumann ist mit drei Liedern vertreten, diese sind dafür aber recht kurz).
Den Auftakt bildet Barbara Strozzis (1619-1677) Kantate L’Er- aclito Amoroso, die gleich in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert ist: zunächst erhält dieses Stück als einziges ein umfangreiches von Göritz komponiertes Vorspiel, sodann ist es das längste Stück des Albums und nicht zuletzt erklärt der ‚Der verliebte Heraklit‘ den Namen des Duos. Schon das Vorspiel macht Lust auf mehr: bereits mit den ersten Arpeggien wird klar, dass Daniel Göritz ein Meister seines Fachs ist und man sich vertrauensvoll seinem Spiel wird hingeben dürfen – ein Eindruck, den der Rest des Albums nachdrücklich bestätigt. Nach einer Reihe barock anmutender Akkordbrechungen, die in ihren besten Momenten an leicht modernisierte Präludien Silvius Leopold Weiss‘ erinnern, erklingt schließlich der harmonisierte Lamentobass, den man in der Kantate nach dieser Einleitung garantiert wieder erkennen wird. L’Eraclito Amoroso reiht sich in die großen Klagegesänge des 17. Jahrhunderts ein. Heraklit richtet sich mit den Worten Udite amanti la cagione, oh Dio, ch’a lagrimar mi porta („Hört ihr Liebenden, den Grund, oh Gott, der mich zum Weinen bringt“) an seine Hörer, und klagt darüber, dass im treu geglaubten ‚teuren Schatz‘ die Treue ‚erstarb‘. Die Anrufung Udite ist für Bruns und Göritz namensgebend geworden und gebietet auch dem Publikum aufmerksam zu lauschen. Die Worte allein vermitteln jedoch die ungeheure Intensität die Strozzis Vertonung erreicht nicht. Über dem Lamentobass entfaltet sich eine Melodie, die mit ihren zahlreichen Ornamenten und Reibungen höchste interpretatorische Anforderungen stellt. Bettina Bruns dunkel tembrierter Stimme gelingt es ganz ausgezeichnet, diesen gerecht zu werden und Heraklits Klage hörbar zu machen. Hervorgehoben werden muss auch Göritz‘ fantasievolle Ausgestaltung der Generalbassstimme, die hervorragend auf die verschiedenen Ereignisse der Melodie reagiert. Die nachfolgenden zwei Stücke Henry Purcells beschließen den ‚Barockblock‘ des Albums und für beide gilt das gleiche wie zuvor: Duo Udite präsentiert reizvolle Interpretationen.
Die nächsten Lieder bieten Gelegenheit sich mit der früh-, mittel- und spätromantischen Seite des Duos bekannt zu machen. Mit Schuberts Lied der Mignon und Der Wanderer wird einmal mehr bestätigt, was Gitarristen schon im frühen 19. Jahrhundert zu Lebzeiten Schuberts bemerkten – seine Lieder klingen wunderbar in der Besetzung Gesang und Gitarre. Auch viele Lieder Schumanns kann man sich grundsätzlich gut in dieser Besetzung vorstellen und wird nicht enttäuscht. Die drei Juwelen aus dem Eichendorff-Liederkreis op. 39 schimmern in der transparenten Version mit Gitarre; Göritz hat mit seinen Transkriptionen wunderbare Arbeit geleistet. Besonders die Begleitung von In der Fremde (Aus der Heimat) ist auffallend gut mit dem klanglichen Charakter der Gitarre vereinbar. Dies ist sicherlich kein Zufall: Schumann war bekanntlich literarisch äußerst bewandert und ihm war zweifellos bekannt, dass dieses Lied in Eichendorffs Novelle Viel Lärmen um Nichts von einer „junge(n) schöne(n) Frau, mit einer Gitarre im Arm“ gesungen wird. Bruns und Göritz versetzen uns Hörer mühelos in die Lage, diesem idealen Bild nachzuträumen.
Auf zwei Glanzlichter sei noch besonders verwiesen: Strauss‘ Morgen und Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen. Ungefähr in der Mitte des Albums erklingt das verträumte Vorspiel zu dem Evergreen von Strauss. Es ist kein kleines Wagnis von Göritz sich dem Lied anzunehmen, denn schließlich hat Strauss selbst neben der Klavierfassung auch Versionen für Klavier, Geige und Gesang sowie für Orchester mit Violine Solo und Gesang vorgelegt. Kann dies auf nur einer Gitarre auch nur annähernd oder besser noch: mit irgendeinem Mehrwert wiedergegeben werden? Erstaunlicherweise ja! Im ausgedehnten Vorspiel werden die Klangfarben der Gitarre von Göritz zum Leuchten gebracht – und in der Tat (in einer Zeitschrift für Gitarrenmusik darf man dies wohl ohne allzu großen Widerspruch zu erregen schreiben) verblasst die Klavierversion beinahe hinter den zarten Zaubertönen der Gitarre. Einzig die Orchesterversion, in der Harfe und Geige in süßen Streicherklang gebettet führende Rollen einnehmen, legt in Sachen ‚Sounds zum Eintauchen‘ noch eine Schippe drauf. Doch Göritz zieht alle metaphorischen Register der Gitarre und schafft es das ganze Stück hindurch, die entrückte Stimmung auf bemerkenswerte Art einzufangen. Gleichsam ganz natürlich verschmilzt da die Stimme der Mezzosopranistin Bruns mit diesem Wohlklang. Morgen zählt nicht ohne Grund zu den bekanntesten Stücken von Strauss. Dass nun auch Gitarristen diese Repertoireperle ohne hörbare Abstriche interpretieren können ist eine erstaunliche Leistung des Arrangeurs und wird durch die Aufnahme des Duos eindrucksvoll demonstriert.
Ich bin der Welt abhanden gekommen schließlich ist vielleicht das Stück, neben Wagners Im Treibhaus, in der Bruns Stimme am besten zur Geltung kommt. Es bildet den Abschluss des Albums und bietet genügend Raum, gerade das untere Register der Mezzosopranistin schimmern zu lassen. Die Innigkeit, ja Ernsthaftigkeit dieses zarten Liedes wird von Bruns ebenso innig, zart und ernsthaft interpretiert ohne je banal zu wirken. Göritz begleitet diskret, aber nie achtlos. Im Gegenteil: seine sanften, runden Klänge tragen den Gesang seiner Partnerin mühelos auch durch die bewegteren Teile dieses Weltgetümmels.
Das Duo Udite liefert mit seinem ersten Album eine ebenso hörenswerte wie abwechslungsreiche Programmschau. Zu loben ist vor allem das Zusammenspiel von Bruns und Göritz – man merkt den Aufnahmen an, dass hier ein eingespieltes und aufeinander abgestimmtes Duo agiert. Göritz‘ Fähigkeit zu lebendigem Begleiten und seine Interpretation der Vor-, Zwischen- und Nachspiele können nicht hoch genug gerühmt werden. Bruns eher gedecktere Stimme und ihre ruhige Art der Interpretation erzeugen immer wieder Momente von großer Intensität – besonders im Eraclito Amoroso oder eben in Ich bin der Welt abhanden gekommen. Man kann aber nicht umhin festzustellen, dass ihre Intonation nicht immer ganz stabil ist. Dies ist aber durchaus zu verschmerzen, ihre Stärken liegen in diesen Aufnahmen ganz eindeutig im Erfassen und Erzeugen von Stimmungen. Über jeden Tadel erhaben sind indes Göritz‘ Arrangements, die kunstvoll und idiomatisch klingend (dabei wohl aber höllisch schwierig zu spielen) die Gitarre in Szene setzen. Jedes Arrangement muss sich letztlich die Frage nach der Berechtigung durchaus gefallen lassen: wurde es lediglich erstellt, damit ein Stück ‚auch mal‘ auf einem anderen Instrument oder in anderer Besetzung zu hören ist oder gibt es eine echte klangliche oder künstlerische Notwendigkeit dafür? Göritz‘ Arrangements liefern die klingende Antwort, sie gewinnen auf den Saiten der Gitarre jedem Stück tatsächlich neue Seiten ab.
Die Repertoirewahl des Albums erfolgte offensichtlich unter dem Gesichtspunkt, ein möglichst vielfältiges Programm auf relativ engem Raum zu präsentieren. Stilistische Abwechslung ist so garantiert, aber wie bei vielen Best-of-Auswahlen wäre manchmal mehr tatsächlich mehr gewesen. So hätte man gerne mehr von Barbara Strozzi kennengelernt oder gerne auch den ganzen Liederkreis op. 39 von Schumann in der Interpretation des Duos gehört. Schon allein um zu hören, ob die Arrangements der lebhaften Stücke ebenfalls ihre Wirkung auf der Gitarre entfalten können. Die Neugier ist jedenfalls geweckt und wie schön deshalb, dass die Website des Duos weitere Aufnahmen verspricht. Insgesamt ist Udite ein gelungener Überblick über das Schaffen des Duos und zugleich ein Beleg: ein Beleg dafür, dass der Aufforderung Udite! – Hört zu! nachzukommen sich bei diesem Duo lohnt!